„Das ist pervers …“

„Das ist pervers!“
Ich schau mich um. Bin ich gemeint? Anscheinend. Eine Frau mittleren Alters, die an mir vorbei läuft, sieht mich an. „Das ist pervers, was du machst!“
Ich bin verblüfft, verwirrt. Ich nehme meinen Apparat herunter und sprech sie an: „Was meinen Sie?“ „Dass du die armen, obdachlosen Menschen fotografierst. Das ist pervers. Lass sie einfach in Ruhe!“
Der Versuch eines Gespräches schlägt fehl … Weg ist sie. Hat mir ihre Meinung an den Kopf und vor die Füße geworfen und nun steh ich da und grübel, zweifle. Sie ist weg, aber Verwirrung im Kopf bleibt.

Was habe ich gemacht? Was habe ich vielleicht falsch gemacht? Habe ich etwas falsch gemacht? Ist es so, dass ich mich an Armut und Elend ergötze? Dass ich blutsaugerisch mich profilieren will?

Also, was mache ich, habe ich getan?
Menschen sind mir wichtig. Stets. In meinem Umfeld, auf Arbeit, im Urlaub …. Es hat für mich eine Bedeutung, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen. Jedenfalls beim ersten Kontakt. Warum fotografiere ich also Menschen in deren Umfeld? Ich finde es interessant zu sehen, wie sie leben und agieren. Aber ich fotografiere nie aus der Ferne mit langem Tele, heimlich, um später mich zu präsentieren mit Fotos aus „der Szene“ o.a..
Es fällt mir wirklich nicht immer leicht, auf diese Menschen direkt, frontal zuzugehen und sie zu fragen, ob ich sie fotografieren dürfe. Aber ich spreche sie stets an, mir bewusst, dass Rückfragen kommen. Ich gehe auf sie zu und bitte, ob ich sie fotografieren darf. Und ich denke, das ist ihnen gegenüber respektvoll. Bei Weitem nicht alle wollen das überhaupt, lehnen es sofort ab oder nach entsprechenden Nachfragen. Dann bedanke ich mich, wünsche ihnen einen für sie guten Tag. Bei vielen komme ich ins Gespräch, manche Gespräche dauern lange und irgendwann geben sie mir Zeit, sie zu fotografieren. Ich erfahre etwas über sie, sie erfahren etwas über mich. Wir reden, miteinander, auf Augenhöhe, beidseitig respektvoll. Immer, wirklich immer, gebe ich ihnen etwas zur Unterstützung ihres Tages, lasse sie nicht im Unklaren, wofür die Fotos sind.
Ist das pervers? Ist das respektlos? Ich hoffe nicht, denn im Gegensatz zu vielen, die an Menschen in Not täglich vorbei gehen, auch wenn sie ihnen 50 Cent oder einen Euro schnell in den Becher werfen, verbringe ich mit ihnen etwas Zeit. Zehn Minuten, eine viertel Stunde. Ich lasse sie ein Stück an meinem Leben teilhaben, wie sie ihres mit mir kurzzeitig teilen. Ich höre ihnen zu. Und ich habe das Gefühl, dass sie spüren, dass ich keine Bilder erhaschen will, sondern an ihrer Situation einfach interessiert bin und wenn auch nur kurz aber eben bewusst, teilhabe. Ich kann ihnen nicht wirklich helfen. Aber ich kann respektvoll mit ihnen agieren, wenn sie es zulassen.

„Das ist pervers, was du machst …!“
„Lass ihn doch. Ich freu mich, dass er MICH fotografiert. Er übersieht mich nicht und schaut nicht weg“, war der Einwurf desjenigen, den ich vorher gerade ums fotografieren bat.
„Danke, dass ich euch fotografieren durfte. Ich wünsche euch einen guten Tag und ein schönes Wochenende“, verabschiedete ich mich von zwei älteren Menschen. „Hey, danke für das wunderbare Gespäch.“ kam es zurück.
Nach zwei Fotos von einem jungen Paar, machte er die Box auf und sagte:“Weißt du, wir haben vergessen, dass unser Hamster dazu gehört, mit aufs Bild. Fotografier uns nochmal, uns drei.“
Betteln, um Almosen fragen – es ist eine große Überwindung für jeden Menschen. Ihnen etwas Geld zu geben, gehört seit je her zu meinen Gebaren. Wenn man ein paar Worte wechselt, nicht, im wahrsten Sinne des Wortes, von oben herab Geld „hin“ wirft, kommt für sie ein Stück Würde zurück. Das wird spürbar auch für mich. Der polnische Bettler in der U-Bahn – kein Wort deutsch sprechend, ich kein Wort polnisch. Trotzdem mit „Händen und Füßen“ ^^redend, zum Schluss fotografieren dürfen und per Handschlag sich bedankend.

Pervers? Ist es nicht eher pervers, wenn wir den Nächsten nicht mehr wahrnehmen (wollen) ? Wie schnell vergessen wir alle: Das Leben fällt, wohin es will.

Zweifel nach den Worten der Frau an mich bleiben trotzdem…

     

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