Porn – WAR PORN

IMG_4735

Ein Buch. Klein, billig gemacht aussehend, mit Pappeinband und augenscheinlich sehr einfach gebunden. Kein Buch, dass einen öfteren Gebrauch erduldet, ohne kaputt zu gehen. 40US$ oder 29,90€ als Preis. Kann so ein Buch es wert sein, es zu kaufen?

PORN – das Wort erregt: Gemüter, Interesse, Statements, Neugier.
War Porn – das Buch erregt: Gemüter

Der Autor (Christoph Bangert, Fotograf) nennt sich ausdrücklich NICHT Kriegsfotograf. So wie Anja Niedringhaus (getötet bei der Arbeit am 04.04.2014 in Afghanistan) keine Kriegsfotografin war, sondern auch viel im Sportbereich fotografierte. Bangert ist Fotograf der nicht  in vielen Bereichen fotografiert, auch da, wo wir als Gesellschaft nicht wegsehen dürfen – in Kriesenreggionen.
In Bilderkrieger nahm ich seine Arbeiten zum ersten Male bewusst war. Nun stieß ich auf ein komplettes Werk von ihm: WAR PORN.
Ein kurzes Vorwort, ein kurzer Rückblick auf seine ersten Kontakte zu einem Krieg: „Löbliche“ Kriegserzählungen seines Opas aus dem 2. Weltkrieg. Dazwischen eine Aneinanderfolge von Bildern. Unerträgliche Bilder. Von Leid, Tod, Elend und Verzweiflung. Bilder, die NICHT in den Medien erscheinen, egal welchen. Schon gar nicht im Fernsehen (kann man den Menschen während des Abendessens und Nachrichten schauend wohl nicht zumuten?) und überhaupt nicht in Printmedien (neben Werbung teurer Uhren, Parfüms oder Kleider, weil das der Werbeträger nicht möchte?). Es sei ja sowieso alles weit weg, von unserer heilen Welt. Nicht, dass wir kein Mitleid empfinden würden. Aber bitte keine so realen Bilder. Die „geschönten“ sind schon schlimm genug….

Genau hier setzt alles an. Brauchen wir blutige Bilder, um den Schrecken des Krieges zu begreifen? Ja, sagt Bangert. Und in „War Porn“ hat er drastische Aufnahmen veröffentlicht. Bewusst veröffentlicht, um das Totschlagargument in eine öffentliche Diskussion zu bringen, Fotografien dieser Art seien voyeuristisch, entmenschlichend, die Würde verletzend …, Sie gehören der Selbstzensur wegen, nicht veröffentlicht. Diese Bilder sind eine Auseinandersetzung mit der Selbstzensur! Natürlich selbstzensiert zuallererst der Fotograf, dann der Redaktuer, der Chefredakteur und der Medienkonsument. Welche Wahrheit kommt dann noch wirklich an? Weichgespülte Wahrheit, die dem Medienkonsumenten suggeriert: Sooo schlimm ist das alles nicht. Schlimm ja, aber nicht soo schlimm….

Bangert nimmt uns die Entscheidung nicht ab, er zwingt sie uns auf. Auch sich selbst, wenn er sagt, an manche Bilder kann er sich nicht mal mehr selbst erinnern, sie gemacht zu haben. Die Selbstzensur im eigenen Kopf scheint auch eine Art Selbstschutz zu sein. Aber das Vergessen hilft niemandem. Das Wegsehen allerdings den Tätern.
Zitat Bangert: „Wer bin ich, wenn ich sage: „Ich will das nicht sehen“? Das ist unfair den Menschen gegenüber, die das tatsächlich erlebt haben. Ein Einwand ist, dass es unmoralisch sei, sich diese Bilder vom Leid anderer Menschen anzusehen. Ich finde, es ist umgekehrt. Es ist unmoralisch, sich diese Bilder nicht anzusehen.“

Bangert steht in der Tradition des guten (alten) Fotojournalismus. So wie Nachtway, agiert auch er als Zeuge, als Zeitzeuge. Ohne Position zu beziehen, ohne das Töten beenden oder helfen zu können. Nur um zu dokumentieren. Eine Wertung und Position zu allem zu finden, Rückschlüsse zu ziehen – das alles überlässt er nun uns. Gnadenlos zwingt er uns die Realität auf, die wir nicht sehen wollen. Aber es passiert. Tagtäglich, überall, genauso gnadenlos, wie er es uns dokumentarisch vor Augen führt. Bangert zwingt uns endlich, Stellung zu beziehen. Denn fängt man an, in dem Buch zu blättern, hört man nicht auf. Faszination des Grauen? War Porn eben ….? Nein, es ist der Schrecken, dass es das alles wirklich gibt. Dass so viele Menschen dieses Leid erfahren und die Anzahl der Bilder zeigt die alltäglich, nicht aufhörende Grausamkeit. Bangert schafft mit dem Horrorszenarium, dass die Opfer wie auch die Kriegsverbrecher, die Kriegsakteure, die allzuoft auch westliche Kriegsakteure sind, in den Mittelpunkt einer Öffentlichkeit gelangen. Ins grässliche Licht der Leichen, Folter, Entmenschlichung.
Gute Reporter, Fotografen, Kameraleute zeichnet aus, dass sie über den Tellerrand schauen, Kontext herstellen können. Dass sie über Widersprüche, verschiedene Perspektiven berichten. Dass sie Schwarz-weiß-Denken vermeiden. Dass sie das eigene Tun reflektieren. Ihre Arbeit ist ein Gegengift gegen Manipulation und Propaganda.Zitat Sonia Mikich im Tagesspiegel

Christoph Bangert zeigt uns nur Bilder in einem Buch. Es ist einfach gehalten, zerbrechlich. Er präsentiert sie uns in keiner Ausstellung mit gereichtem Wein oder Orangensaft. Er gibt uns dieses einfache, zerbrechliche Buch in die Hand. Und verweist mit dem Buch so sehr auf menschlichen Werte, die eigentlich einfach sind und so zerbrechlich. Wir müssen der Realität ins Auge sehen! So schwer es auch fällt. Um es mit Nachtways Worten zu sagen: „Wenn wir es schon nicht tun, wer denn dann?“

Was an eigener Verantwortung aber bleibt, ist der ethische Grundsatz. In der heutigen medialen Flut an Videos und Fotos rund um Youtube und Google, mit Enthauptungsvideos und Verherrlichung von Attentaten, muss die ethische Aufrüstung unbedingt thematisiert werden. Terroristen wollen, dass wir die Videos sehen. Zur Einschüchterung. Sich diese wirklich anzusehen, zu teilen, …, das ist Voyeurismus, das ist War Porn und spielt nur den Terroristen und Kriegsverbrechern in die Hände. Der ethisch, moralische Ansatz muss in der Medienwelt von heute gefunden werden. Nur dann unterscheiden wir Vernunft und Verantwortung und Menschlichkeit und Würde von ausschließlich voyeuristischer Brutalität.
Medienkompetenz als ethischer Grundsatz also für unser heutiges Leben.
Dies zu erkennen, dazu zwingt uns Bangert mit seinem Buch.

Kann dieses Buch es wert sein, es zu kaufen?
Nein – man wird es nicht oft zur Hand nehmen. Es belastet einen sehr. Es geht schnell kaputt, ist zu teuer. Man kann derart Bilder nicht mehr ertragen.

Ja – man muss es in die Hand nehmen. Es muss belasten, denn es ist eine Ehrerbietung an die, denen man die Würde genommen hat in ihrem Leben, ihrem Tod. Wenn wir die Bilder nicht mehr ertragen , wie denn die Betroffenen ihr Leid?
Wir haben die Verantwortung, NICHT MEHR WEGZUSEHEN, ABER AUCH KEINER PROPAGANDA ZU UNTERLIEGEN!

About the author